14.11.2024
Auf dem diesjährigen MedTech.Circle am 9. Oktober wurden innovative, patientenzentrierte Projekte vor den Vorhang geholt. Gregor Puchhammer stellte seine Michelangelo-Hand vor, die sogar den Weltraum erobert. Projektmanagerin Lydia Müller sprach mit ihm über seine Erfolge und die Zukunft der Prothetik.
Wie sind Sie von der Medizintechnik in den Weltraum gekommen?
Alles begann mit der Suche nach einem Ersatz für Reibradgetriebe, um eine nahezu geräuschlose Technologie für Prothesen zu entwickeln. Mit der Firma Rejlek konnten wir nach einiger Entwicklungszeit ein funktionierendes Magnetgetriebe bauen. 2012 präsentierte ich diese Innovation auf der ACTUATOR Conference und erhielt wenig später eine E-Mail von der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Sie waren begeistert und luden mich zu einem Vortrag ein.
Nach spannenden Gesprächen schlugen sie ein gemeinsames Projekt vor, das wir zusammen mit Rejlek und RUAG Space Austria (heute Beyond Gravity) einreichten. Die Entwicklung des „kleinsten Magnetgetriebes“ dauerte dreieinhalb Jahre. Damit war unser Schritt in den Weltraum getan. Das Getriebe durchlief strenge Tests für den Einsatz im Vakuum und bei Temperaturen von minus 40 bis plus 90 Grad Celsius, wie sie im Erdorbit herrschen. Im Weltraum sind herkömmliche Schmierstoffe unbrauchbar, da sie im Vakuum verdampfen. Es braucht spezielle Lösungen, die selbst diesen extremen Bedingungen standhalten. Interessanterweise gibt es Ähnlichkeiten zur Automobilindustrie. Auch dort müssen Systeme bei extremen Temperaturen von minus 40 bis plus 90 Grad funktionieren – etwa in Grönland im Winter oder in der Wüste. Allerdings wird im Weltraum die Herausforderung durch das Vakuum verstärkt. Hier wird Schmierung zum entscheidenden Thema. Wenn sie nicht funktioniert, scheitern ganze Projekte, weil die Tribologie, also die Lehre von Reibung und Verschleiß, nicht bedacht wurde.
Was begeistert Sie an Ihrer Arbeit am meisten?
Am meisten begeistert mich die Innovation – dieses ständige Streben nach dem Neuen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, woher diese Faszination genau kommt. Es geht nicht darum, Dinge zu zerstören oder radikal zu verändern. Wenn etwas gut funktioniert, freue ich mich darüber genauso. Aber ich frage mich oft: Könnte es nicht noch besser gehen? Diese Neugier begleitet mich schon mein ganzes Leben. Man hat gewisse Werkzeuge oder Methoden im Kopf, mit denen man Probleme lösen kann. Anfangs lernt man etwas darüber im Studium, vergisst es vielleicht wieder, aber irgendwann kommt der Moment, wo man es wieder aufgreift. Man muss die Regeln des Spiels kennen, in meinem Fall die physikalischen Gesetze wie den Magnetismus oder die Mechanik. Aber dann kann man anfangen, die Dinge zu variieren und kreativ zu kombinieren. Letztendlich ist es für mich immer eine Mischung aus Kreativität und Spaß. Es ist das Spiel mit den Möglichkeiten, die mir mein Wissen bietet, und der ständige Drang, etwas Neues zu erschaffen. Das motiviert mich jeden Tag aufs Neue.
Welches Mindset braucht es für die Entwicklung innovativer Medizinprodukte?
Ein wesentliches Element ist spielerische Neugier. Man muss Lust haben, Neues auszuprobieren und kreativ zu denken. Für mich persönlich ist es die Freude daran, etwas Neues zu schaffen und zu sehen, wenn es funktioniert. Es beginnt oft im Kopf: Eine Idee entsteht und fühlt sich gut an. Das ist ein tolles Gefühl! Doch nicht alles, was im Kopf funktioniert, lässt sich auch in der Realität umsetzen. Manchmal merkt man erst auf dem Papier, dass es physikalisch nicht machbar ist. Aber genau da liegt die Herausforderung. Man braucht eine hohe Frustrationstoleranz. Es geht darum, nicht gleich aufzugeben, wenn eine Idee scheitert. Man muss lernen, Ideen auch mal loszulassen und mit Abstand zu betrachten. Mut zu radikalen oder disruptiven Lösungen ist ebenso wichtig. Manchmal muss man unkonventionelle Wege gehen, um wirklich etwas Neues zu schaffen. Wer innovativ sein will, darf keine Angst vor großen Zielen haben – auch wenn sie zunächst unerreichbar erscheinen. Sich hohe Ziele zu stecken und gleichzeitig die Geduld zu bewahren, nicht aufzugeben, selbst wenn es schwierige Phasen gibt, ist entscheidend. Es braucht Zeit, aber auch Geduld – mit sich selbst und mit dem Team. Am Ende zeigt sich jedoch, dass es sich lohnt, beharrlich zu bleiben.
Wohin geht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Prothetik?
Die Entwicklung der Prothetik ist eine spannende Reise, die in den nächsten Jahren enorme Fortschritte bringen wird. Ein großer Trend ist das simultane Ansteuern von Funktionen. Derzeit kann man bei vielen Prothesen entweder die Hand öffnen und schließen oder sie drehen – jedoch nur nacheinander. Dies geschieht oft durch eine sogenannte Ko-Kontraktion, bei der Muskeln in bestimmten Abfolgen aktiviert werden. In Zukunft wird es möglich sein, beide Bewegungen gleichzeitig auszuführen, was dem Nutzer oder der Nutzerin ein deutlich natürlicheres Handling ermöglicht.
Es gibt bereits Ansätze, die dies realisieren, zum Beispiel durch den Einsatz von Multi-Elektrodengürteln. Diese werden um den Unterarm gelegt und es lassen sich damit Muskeln separat steuern, was die Präzision der Bewegungen erhöht. Natürlich liegt die Herausforderung darin, die Muskelaktivitäten korrekt zu erkennen und die Steuerung zuverlässig umzusetzen. Doch auch hier sind wir auf einem guten Weg. Erste vielversprechende Ergebnisse gibt es bereits.
Ein weiteres Zukunftsthema sind Hirnimplantate. Zwar befinden sich diese Technologien noch in einem sehr frühen Stadium und klingen eher nach Science Fiction, aber erste Experimente zeigen, dass die Steuerung eines vollständigen Arms durch Implantate im Gehirn möglich ist. Hier gibt es allerdings noch viele Hürden zu überwinden, etwa die Frage der Stromversorgung und Biokompatibilität der Implantate.
Interessant sind auch neue Ansätze wie die Nervenumleitung, die vom Forscher Hubert Egger weiterentwickelt wurde. Dabei geht es nicht nur um die motorische Steuerung, sondern auch um sensorisches Feedback. Besonders beeindruckend ist die Arbeit mit Patienten, die an Phantomschmerzen leiden, wie es häufig nach Amputationen vorkommt. Hier wurde durch eine spezielle Operation der Nerv so umgeleitet, dass er wieder Signale empfängt und sich mit der Haut verbindet. Das überraschende Ergebnis: Der Patient konnte an der Stelle der Berührung fühlen, als wäre der verlorene Körperteil noch da und die Phantomschmerzen verschwanden.
Die Prothetik entwickelt sich also in verschiedenen Bereichen weiter: von simultanen Bewegungssteuerungen bis hin zu neuronalen Implantaten und sensorischen Feedback-Systemen. Es ist eine aufregende Zeit für die Medizintechnik, in der das Zusammenspiel von Technologie und Biologie immer besser verstanden und genutzt wird. Die Zukunft hält zweifellos viele Innovationen bereit, die das Leben von Menschen mit Prothesen nachhaltig verändern werden.