Vernetzt und versorgt: Der digitale Patient

blaues Auge ganz nah aufgenommen © iStock.com/eclipse images
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28.06.2021

Digitalisierung ist längst in alle Lebensbereiche eingedrungen. Im Gesundheitswesen bieten neue Technologien hervorragende Möglichkeiten, es müssen aber noch einige Hürden überwunden werden. Trotzdem führt an der Einbindung Künstlicher Intelligenz und Datenerfassung im Gesundheitswesen kein Weg vorbei. Die digitale Patientenreise hat auch in Österreich bereits begonnen.

Die Smartwatch blinkt - intensiv und rot. Es ist mehr als ein Warnsignal, sondern ein klares Zeichen, dass es höchste Eisenbahn ist, auf die Gesundheit zu achten. Die Sensoren im ebenfalls smarten Hemd haben eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes festgestellt: Blutdruck, Herztöne, Veränderung der Körpertemperatur. Auch wenn der digital überwachte Patient subjektiv keine Beschwerden hat und sich eigentlich ganz wohl fühlt, kann er sicher sein, dass der Alarm begründet ist. Der virtuell konsultierte Hausarzt bestätigt den Verdacht: Die Beschwerden des Mannes stimmen mit dem Risikoprofil in der elektronischen Krankenakte überein. Die Überweisung ins Spital erfolgt via App, beim Einchecken braucht der Patient nur mehr einen QR-Code. Im Krankenhaus ist die Diagnose rasch erstellt. Bei der folgenden umfassenden Untersuchung wird für den Betroffenen bereits ein neues Behandlungsschema entwickelt und an einem "digitalen Zwilling" simuliert. So können in leichteren Fällen die Medikamente selbst mit einem 3D-Drucker hergestellt werden. Die Uhr wird den Patienten daran erinnern, wann er sie einnehmen muss und seine Kleidung wird weiterhin stillschweigend ein Auge auf die Gesundheit haben.


Virtuelle Reise in den Körper

Unabhängig von wirtschaftlichen Komponenten, Regulativen und der Akzeptanz bei den Patienten, denkt die Wissenschaft bereits einen Schritt weiter. Ein extrem futuristisch klingendes Konzept ist die sogenannte "digitale Pille" - digitale Geräte in Tabletten, die nach dem Verschlucken eine Reihe von Funktionen erfüllen könnten - von der einfachen Protokollierung der Medikamenteneinnahme bis hin zur Übertragung von Bildern einer Miniaturkamera, die ein Arzt aus der Ferne überprüfen kann. Nach der digitalen Diagnose wird vielleicht auch die medizinische Behandlung aus der Ferne oder virtuell erfolgen. Die "künstliche Bauchspeicheldrüse" ist eine solche Innovation, die sowohl die digitale Diagnose als auch die Behandlung zusammenführt. Eine am Körper getragene Insulinpumpe kommuniziert drahtlos mit einem Pflaster auf der Haut, das den Blutzuckerspiegel überwacht. Die intelligente Pumpe kann berechnen, wie viel Insulin (wenn überhaupt) benötigt wird, um den Blutzuckerspiegel des Patienten gesund zu halten, und die entsprechende Dosis wird dann in den Körper abgegeben. Die Daten des Geräts können genutzt werden, um den Patienten aus der Ferne zu überwachen oder seinen Gesundheitszustand über einen bestimmten Zeitraum zu analysieren.


Therapie nach virtuellem Arztbesuch

Virtual Reality scheint eine der Technologien zu sein, die kurz vor dem Durchbruch steht und bereits eingesetzt wird, um Medizinstudenten zu helfen, lebensechte digitale Körper zu erforschen und sogar aufzuschneiden sowie Operationen zu planen. Studien haben auch gezeigt, dass virtuelle Realität bei der Schmerzbehandlung von Vorteil sein kann, oder als eine Möglichkeit dient, damit Patienten aus der Ferne in Therapien wie Achtsamkeit oder kognitive Verhaltenstherapie eintauchen können. Warum mit einem schmerzenden Nacken zum Physiotherapeuten fahren, wenn man eine virtuelle Physiositzung ganz bequem absolvieren kann? Die digitale Therapie hat ebenfalls riesiges Potenzial. Sie ermöglicht Therapie auch Menschen, die sich keinen Nachmittag freinehmen können, um zur Reha zu gehen. Wer keine Transportmöglichkeiten hat, kann auf Knopfdruck Zugang zur Behandlung bekommen.


Drohnen und Drucker als Lebensretter

Über virtuelle Behandlungen hinaus bieten medizinische Drohnen und 3D-Drucker weitere Möglichkeiten, um Medizin zu den Menschen zu bringen, anstatt dass Menschen in Krankenhäuser gebracht werden. Drohnen könnten Medikamente, medizinische Geräte oder Kameras in schwer zugängliche Gebiete absetzen und Ärzte und Patienten aus der Ferne miteinander verbinden. Und 3D-Drucker können Patienten dabei helfen, maßgeschneiderte, personalisierte Prothesen und andere medizinische Geräte zu erstellen, ohne dass sie zu einer Anprobe gehen müssen. Einige 3D-Drucker ermöglichen bereits das „Drucken" von Medikamenten, die genau auf die für den Körper erforderliche Dosis abgestimmt sind, und in Zukunft könnten sogenannte „Bioprinter" sogar biologisches Ersatzgewebe ausdrucken, das aus der eigenen DNA oder den Zellen des Patienten gezüchtet wird.


20 Minuten sind oft entscheidend

Der Blick in die Zukunft ist durchaus realistisch:

„Wenn wir uns mit Digitalisierung und Innovationen beschäftigen, können wir höchstens drei bis vier Jahre vorausschauen, aber wir können bereits feststellen, was uns in Zukunft mitbeeinflussen wird. Digitalisierung ist ein Enabler, wir wollen damit etwas bewegen. Und trotzdem werden Menschen nicht in ein Krankenhaus kommen, weil es eine perfekte IT hat“, betont Humayaun Kabir, CIO der OÖ Gesundheitsholding.

Vorrangig gehe es darum, Prozesse zu vereinfachen. Dabei müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse – vom Patienten über den Arzt bis hin zum Klinikmanager - berücksichtigt werden. Die OÖ Gesundheitsholding hat anhand von 1000 Patienten gemessen, wie man die Kernprozesse im Krankenhaus so optimieren könnte, dass es zu einer Zeitersparnis von 20 Minuten kommt. Diese entscheidenden Minuten würden nicht nur das Personal entlasten und finanzielle Mittel freistellen, die wiederum für Verbesserungen genutzt werden können, sondern tatsächlich Leben retten – beispielsweise bei Schlaganfällen oder Herzinfarkten.


Faktor Mensch ist unersetzbar

Gerade dem Human Ressource Management sollte Aufmerksamkeit geschenkt werden.

„Ohne qualifizierte Mitarbeiter werden wir nie unsere Ziele erreichen. Neue Technologien können uns auch beim Fachkräftemangel unterstützen. Wenn unser größtes Asset die Mitarbeiter sind, müssen wir darauf achten, wie Mitarbeiterqualifizierung im technologischen Umfeld möglich ist. Wenn wir das nicht kanalisieren, dann passiert der Information Overkill und wir überfordern die Mitarbeiter. Wir implementieren Technologien, aber wir bekommen die PS nicht auf die Straße.“ ist sich Kabir sicher. Auf dem Weg zum Krankenhaus 4.0 steht und fällt alles mit der Infrastruktur. „Man kann nicht mit der Digitalisierung beginnen, bevor nicht geklärt ist, wofür wir sie nutzen. Die Infrastruktur muss funktionieren und beherrschbar sein, das ist eine Herausforderung. Die Digitalisierung wird kommen. Entweder wir gestalten die Entwicklung mit, oder wir werden überrollt.“

Mag. Dr. Franz Harnoncourt ist seit 2019 Vorsitzender der Geschäftsführung der OÖ Gesundheitsholding GmbH (OÖG). Der gebürtige Wiener studierte Medizin in Graz sowie Gesundheitswissenschaften an der UMIT in Hall. Er arbeitete als Arzt und als Gesundheitsökonom und kennt daher beide Seiten der Medaille.  „Künstliche Intelligenz wird unser aller Leben und damit auch die Abläufe in den Spitälern verändern“, betont der Experte. Die Unterstützung bei Diagnostik und Therapieentscheidungen (Decision Support Systeme), die Analyse großer Datenmengen und die (Vor-)Selektion von Bildmaterial, Laborbefunden etc. können und werden eine große Hilfe sein.

 „Unersetzbar wird die menschliche Einschätzung und klinische Interpretation, vor allem aber die Kommunikation und das Einbinden der Patientinnen und Patienten, der Ärztinnen und Ärzte und der Pflegekräfte weiterhin sein und als wesentlicher Teil der medizinischen Betreuung für die Zukunft bleiben.“ Mag. Dr. Franz Harnoncourt


Verbesserte Lebensqualität

In Frankreich gehen über eine Million Menschen mit Schlafstörungen nachts zu Bett, überwacht von digitalen medizinischen Geräten, die sich mit einem Ökosystem anderer intelligenter Geräte verbinden. Die Daten über den nächtlichen Gesundheitszustand jedes Patienten werden überwacht und eine App liefert personalisiertes Feedback, Vorschläge zur Verbesserung der Nutzung des Geräts und Warnungen, wenn eine Verschlimmerung des Zustands festgestellt wird. Die Daten helfen den Ärzten auch zu verstehen, wie Behandlungen und neue Geräte verbessert werden können. Künstliche Intelligenz hat – zumindest teilweise – einen fixen Platz im Gesundheitssystem. Jedenfalls sind für viele Bereiche der Gesundheitsversorgungen ausgefeilte technische Details vorhanden. Das wahre Problem liegt in der Vernetzung und an zahlreichen legistischen Vorgaben wie dem Datenschutz und EU-Richtlinien. Bei ELGA, E-Card, e-Impfpass oder der COVID-19-Hotline 1450 zeigt sich außerdem, dass der meiste Aufwand nicht in der Technik, sondern in der Infrastruktur steckt.


Chance für Millionen Kranke

„2,4 Millionen Österreicher sind als morbid registriert, rund die Hälfte davon als multimorbid. Wir wissen, dass ‚one size fits all‘ nicht funktionieren wird. Mit den Möglichkeiten der Telemedizin können begleitende Digital Health-Maßnahmen einsetzen“, sagt Martin Brunninger, Leiter im Dachverband der oö. Sozialversicherungsträger.

Als Beispiele nennt der Experte die Bilderkennung bei Melanomen und die Möglichkeit, Schwindelanfälle mittels Augenanalyse zu diagnostizieren, wodurch Allgemeinmediziner zielorientierter arbeiten können. Es gilt auch, auf vermeidbare Kostenträger aufgrund von Fehlversorgung zu achten, sowohl in der Unter- als auch in der Überversorgung. Schätzungen zufolge landen bis zu 15 Prozent der gesamten Arzneimittelkosten im Mistkübel, falsche Einnahme führt wiederum zu Hospitalisierungen. All das könne man mit neuen Technologien besser bewerkstelligen.


Optimismus trotz vieler Hürden

Die digitale Transformation wird das Gesundheitswesen in den nächsten Jahren stark verändern. Dafür ist jedoch ein langer Atem nötig, befürchtet Alexander Degelsegger-Márquez von der Gesundheit Österreich GmbH: „Bis die Digitalisierung im Krankenhaus von A bis Z umgesetzt ist, braucht es noch zehn bis 15 Jahre.“ Degelsegger-Márquez sieht die Digitalisierung aus der Public Health-Perspektive. Seiner Einschätzung nach reicht es nicht, analoge Prozesse nur zu digitalisieren, denn das gesamte System wird sich verändern. „Es entsteht eine andere Art der Arzt-Patienten-Beziehung. Patienten informieren sich vor der Behandlung, recherchieren im Internet. Das macht den Patienten zu einem anderen Akteur, weil er plötzlich nicht mehr auf die Interpretation des Gegenübers angewiesen ist.“ Degelsegger-Márquez untermauert seine These mit einer Reihe von Beispielen: Von 24-Stunden-Selfcheckboxen in China, die nur so groß wie Telefonzellen sind, aber ein medizinisches Minizentrum mit angeschlossener Apotheke beinhalten, über ein Pilotprojekt aus England, in dem mit Hilfe von Amazons Alexa Gesundheitsdaten gesammelt und auf deren Grundlage Krankenhausaufenthalte reduziert werden können und nicht zu vergessen der Chatbot von Symptoma, der Österreichern die Kommunikation mit dem Gesundheitswesen erleichtert.


Ökonomie und Prophylaxe

Angesichts der steigenden Gesundheitskosten ist das neue Ziel der Medizintechnik nicht nur die Heilung von Krankheiten, sondern auch die frühzeitige Erkennung von Krankheitsanzeichen - oder noch besser - die Vermeidung von Krankheiten. Der Medtech-Sektor steht an der Spitze der Innovation in Europa mit einer der höchsten Anzahl von Patentanmeldungen pro Jahr. Digitale Gesundheitstechnologien sind ein wichtiger Wachstumsbereich, da innovative Unternehmen versuchen, einige der größten Herausforderungen im Gesundheitswesen zu lösen. Diese Werkzeuge und Dienstleistungen können unsere Gesundheitssysteme in einer Zeit des zunehmenden Arbeitskräftemangels im Gesundheitswesen, der alternden Bevölkerung und der steigenden Rate chronischer Erkrankungen stärken. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens kann die Gesundheitsversorgung revolutionieren, indem sie sie sicherer, besser und effizienter macht. So gut all diese Technologien auch sind - eine Reise ins Krankenhaus wird wahrscheinlich nicht völlig der Geschichte angehören. Menschen werden immer eine Notfall- und Akutversorgung benötigen, die in spezialisierten Einrichtungen durchgeführt werden muss. Es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand versuchen wird, einen gebrochenen Knochen zu behandeln oder ein Ersatzorgan selbst zu Hause zu transplantieren.

 

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