12.07.2023
Irmtraud Ehrenmüller befasst sich federführend mit der Organisation eines Living Care Labs am Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management des FH OÖ Campus Linz. Ziel des Projektes ist es, Roboter in der Pflege so einzusetzen, dass Pflegekräfte tatsächlich entlastet werden. MTC-connect hat die Expertin zum Interview gebeten und dabei erfahren, wie eine nachhaltige Entlastung gelingen kann.
Ich möchte mit einer positiven Erkenntnis aus unseren verschiedenen Studien beginnen: Pflegekräfte pflegen gerne! Wir haben keine Evidenz, dass die Pflege- und Betreuungsarbeit an sich die Belastung für Pflegekräfte darstellt. Es sind vielmehr die organisatorischen Rahmenbedingungen, die belasten und in Folge zur Überlastung führen. Daraus ergibt sich, dass der Pflegekräftemangel nicht per se das Problem ist, sondern die Tatsache, dass im Rahmen der üblichen Prozesse und organisatorischen Möglichkeiten mit dem verfügbaren Personal kein Auslangen mehr gefunden werden kann. Und dadurch drückt der Schuh in der Pflege gewaltig.
Eine nachhaltige Entlastung stellt die Unterstützung bei zeitaufwendigen und körperlich belastenden Hilfstätigkeiten dar. Dazu zählen beispielsweise Hol- und Bringdienste wie Wäscheversorgung oder Müllentsorgung, aber auch Materiallogistik wie die punktgenaue Verfügbarkeit von Pflegeutensilien oder Speisetransporte. Das klingt banal, ist aber eben nicht trivial und vielfach ungelöst, wenn es um die „last mile“ der Entlastung für Pflege- und Betreuungskräfte geht. Ebenso relevant ist die Dokumentationsunterstützung – und hier meine ich nicht nur, den Dokumentationsbedarf zu reduzieren. Vielmehr ziehen die herkömmlichen Prozesse zusätzliche Wegstrecken mit sich und lösen in Folge psychische Belastungen aus, denen durch innovative Datenerfassung und vor allem Datenverarbeitung am Patienten begegnet werden kann. Konkrete Möglichkeiten zur nachhaltigen Entlastung ergeben sich auch dort, wo bestehende digitale Technologien so konfiguriert werden, dass sie Pflege- und Betreuungskräfte zeitlich und körperlich entlasten und diese freigespielt werden für die eigentliche „empathische“ Pflege am Menschen. Nicht die Technologie an sich soll dabei im Vordergrund stehen, sondern dass diese Technologien auf den tatsächlichen Unterstützungsbedarf der Pflegekräfte ausgerichtet sind.
Grundsätzlich stehen zahlreiche digitale Assistenzsysteme für die Entlastung von Pflegeund Betreuungskräften zur Verfügung. Spricht man von Robotik in der Pflege, denken viele zuallererst an humanoide, sympathisch wirkende Roboter, dabei ist das nur eine Ausformung digitaler Assistenz. Vielversprechender scheinen vielmehr AugmentedReality-Technologien, Spracherkennungssysteme, Sensorik und die Vernetzung dieser Technologien zur Informationsgenerierung für die handelnden Personen zu sein. Eine sehr gute Entwicklungsumgebung für Prozesse und digitale Assistenzsysteme, die am Ende einen messbaren Nutzen bei der Entlastung von Pflege- und Betreuungskräften generieren und keine weiteren indirekten Belastungen darstellen, sind Living Care Labs.
Mit dem Living Care Lab an der FH OÖ Campus Linz, entwickeln wir eine räumliche und organisatorische Struktur, in der digitale Assistenzsysteme unter realen Bedingungen und mit echten Pflegekräften, aber losgelöst vom Tagesbetrieb, zu Ende entwickelt und evaluiert werden. Während Pilotprojekte den Fokus auf die Entwicklung der Technologie legen, sind Living Care Labs auf nachhaltige Wirkung durch den Einsatz von Technologie ausgerichtet.
Die Zukunft der Pflege wird und muss durch sinnvollen Einsatz von smarter Technologie verändert und gesichert werden. Wenn die digitalen Assistenzsysteme die pflegenden und betreuenden Personen in ihrer Tätigkeit am Menschen physisch, psychisch, zeitlich, aber auch hinsichtlich Informationsverfügbarkeit unterstützen, wird der Pflegeberuf an Attraktivität gewinnen und auch für Personen (wieder) möglich sein, die jetzt von dieser hoch qualifizierten und menschlich wertvollen Tätigkeit ausgeschlossen sind.