16.02.2023
Die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft, Forschung und Innovation macht die Medizintechnik zu einer herausfordernden Disziplin, die ständig in Bewegung ist. Ob Robotik, Künstliche Intelligenz (KI) oder Simulationsmethoden: Dank seiner hervorragenden Forschungseinrichtungen kann Oberösterreich auch in der MedTechBranche auf international beachtlichem Niveau mitmischen. Eine wichtige Rolle als Netzwerk und zentrale Drehscheibe spielt dabei der Medizintechnik-Cluster (MTC).
Einige der größten Herausforderungen im Gesundheitswesen werden nur durch Innovationen und digitale Technologien zu lösen sein. Die MedTech-Branche hat das frühzeitig erkannt und hält seit Jahren Spitzenwerte bei den Patentanmeldungen. Mit digitalen Werkzeugen und Dienstleistungen können unsere Gesundheitssysteme in einer Zeit des zunehmenden Arbeitskräftemangels, der alternden Bevölkerung und der steigenden Rate chronischer Erkrankungen unterstützt werden. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens macht die Gesundheitsversorgung sicherer, besser und effizienter.
Der gemeinsame Nenner
Oberösterreich hat das klare Ziel, zu einem Hotspot in der Medizintechnik zu werden. Im Handlungsfeld „Systeme und Technologien für den Menschen“, einem der vier Schwerpunkte der Wirtschafts- und Forschungsstrategie #upperVISION2030, wird ein Fokus auf Digital Health gelegt. Die Medizintechnikbranche umfasst in Oberösterreich bereits mehr als 60 Unternehmen mit rund 7.000 Mitarbeitern. Entscheidend ist, dass Experten aus den verschiedensten Branchen kooperieren und gemeinsam den Standort weiterentwickeln. Auch Umsteiger aus anderen Branchen können in Projekten wertvolle Unterstützung geben und von den Entwicklungen in der Medizintechnik profitieren. Generell gilt es, frühzeitig Trends zu erkennen und aufzugreifen. So gab es laut dem E-Health Monitor von McKinsey seit dem Beginn der Coronakrise in den USA eine 400-prozentige Zunahme der Telemedizin-Sprechstunden und eine 2.000-prozentige Zunahme der digitalen Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Pharmaunternehmen und Forschungseinrichtungen. Das zeigt eindrucksvoll, dass sich Systeme und Prozesse im Gesundheitswesen ständig verändern – vor allem in Richtung Telemedizin. Dreh- und Angelpunkt in Oberösterreich ist seit mehr als 20 Jahren der Medizintechnik-Cluster, der über sein Netzwerk die wichtigen Ansprechpartner aus Forschung, Lehre, Bildung und Wirtschaft immer wieder in Projekten zusammenbringt und Förderungen initiiert. Um den Nachwuchs gezielt zu unterstützen, gibt es seit 2018 ein branchenspezifisches Gründungsprogramm speziell für MedTech-Start-ups – den MedTech-Inkubator, den der MTC gemeinsam mit der tech2b betreibt.
Forschung in einem starken Netzwerk
Ohne hochkarätige Forschungseinrichtungen könnte sich der Standort nicht weiterentwickeln. Das UAR Innovation Network zählt insgesamt 17 Forschungszentren, die Unternehmen bei der Realisierung ihrer Innovationsvorhaben tatkräftig unterstützen. Die Kernkompetenzen lassen sich in drei Stärkefelder zusammenfassen: smarte Systeme, digitale Technologien und nachhaltige Materialien.
Starke Impulse durch Digitalisierung
Die Digitalisierung und die Interaktion zwischen Mensch und Maschine nehmen im Medizintechnikbereich inzwischen einen hohen Stellenwert ein. Das UAR Innovation Network bringt mit seiner Forschungsarbeit technische Innovationen hervor, die Betroffenen einen großen Nutzen bringen können – wie einige Beispiele zeigen: Die Silicon Austria Labs (SAL) und PROFACTOR beschäftigen sich unter anderem mit Möglichkeiten, Krankenhausaufenthalte und Rehabilitationszeiten mittels intelligenter Textilien und eines IT-basierten Patientenüberwachungssystems effizienter gestalten zu können. Das Software Competence Center Hagenberg (SCCH) und das Kinderwunsch Zentrum Linz am Kepler Universitätsklinikum wiederum arbeiten daran, die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft nach einer künstlichen Befruchtung mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu erhöhen. KI unterstützt die Embryologen bei der Qualitätsbewertung von Blastozysten – das sind im Frühstadium befindliche Embryonen. Die Letztentscheidung trifft aber immer der Mensch.
Apps für mehr Lebensqualität
Ein intuitiv mit dem Mund zu bedienendes Assistenzsystem, das es Menschen mit einer Querschnittslähmung ermöglicht, selbstbestimmt am sozialen und beruflichen Leben teilzuhaben, bringt die LIFEtool gemeinnützige GmbH gemeinsam mit Partnern auf den Weg. Untertützt durch KI lässt sich damit auch die Atemmuskulatur effektiv trainieren. „Dank dieser Innovation gewinnen Menschen mit diesem schwerwiegenden Handicap ein großes Maß an Lebensqualität. Sie können aktiv kommunizieren und auch am Berufsleben teilnehmen“, erklärt LIFEtool-Geschäftsführer David Hofer. Zudem soll in Oberösterreich ein Softwaretool entwickelt werden, das durch den Einsatz von Simulationsmethoden die Einschätzung des Risikos von Rupturen (Rissen) von zerebralen Aneurysmen unterstützt. An diesem Innovationsvorhaben ist unter anderem die RISC Software GmbH beteiligt. Durch die Smartphone-App von Vocalis können inzwischen mithilfe von Künstlicher Intelligenz auch chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen im Anfangsstadium erkannt werden. Die Systeme wurden in der Pandemie auch weiterentwickelt, um SARSCoV-2-positive von -negativen Patienten zu unterscheiden. Dies kann auch in den normalen Alltag übertragen werden. Neben Prophylaxe, Therapie und Administration ist KI auch in der Geriatrie mittlerweile unverzichtbar. Menschen werden immer älter – damit steigt auch die Zahl altersbedingter Erkrankungen.
Der Traum von der Unsterblichkeit
Im Jahr 2020 lag die durchschnittliche Lebenserwartung weltweit bei 72,6 Jahren, was eine Verdoppelung seit 1900 bedeutet. Bis 2050 könnte sich diese Lebenserwartung für Menschen mit Zugang zu erstklassiger medizinischer Versorgung auf 115 Jahre oder mehr erhöhen. Neben der personalisierten Medizin und der verbesserten Datenanalyse wird die Entwicklung der Nanorobotik eine wichtige Rolle spielen. Diese eindrucksvollen Fakten präsentierte Johanna Anzengruber von der Fachhochschule Oberösterreich in ihrer visionären Keynote beim MedTech. Circle in Linz, bei dem auch 20 Jahre Medizintechnik-Cluster gefeiert wurden. Die Wissenschafterin zeichnete – abgeleitet von bereits realen Forschungen und Entwicklungen – ein durchaus optimistisches Szenario. Die Palette reichte dabei von neuartigen Transplantaten, Krebstests für das Frühstadium, einer geschlechterspezifischen Gesundheitsvorsorge bis hin zu Exoskeletten im Berufsalltag. Für all diese Entwicklungen ist die Zusammenarbeit verschiedener Branchen und Wissenschaften notwendig.
Enormes Sparpotenzial
Angesichts steigender Gesundheitskosten ist das neue Ziel der Medizintechnik nicht nur die Heilung von Krankheiten, sondern auch die frühzeitige Erkennung von Krankheitsanzeichen – oder noch besser – die Vermeidung von Krankheiten. Eine Studie von McKinsey & Company kommt zu dem Schluss, dass durch den Einsatz digitaler Technologien im österreichischen Gesundheitswesen bis zu 4,7 Milliarden Euro jährlich eingespart werden können. Dies entspricht rund 14 % der gesamten jährlichen Gesundheits- und Versorgungskosten von zuletzt 35 Mrd. Euro. Das größte Nutzenpotenzial bieten dabei Online-Interaktionen zwischen Ärzten und Patienten sowie die Umstellung auf papierlose Datenverarbeitung durch die einheitliche elektronische Patientenakte oder E-Rezepte bzw. E-Medikation.
Bevor es zu spät ist
Prävention vor Intervention lautet die Devise bei der Medizin der Zukunft. Dies ist nicht zuletzt auf die explosionsartige Entwicklung der Wearable Technology und die zunehmende Verbreitung drahtloser Internetverbindungen zurückzuführen. Von Apps auf dem Smartphone bis hin zu Fitnesstrackern können Menschen ihre Herzfrequenz, ihren Blutdruck, ihre Essgewohnheiten, die Anzahl der verbrannten Kalorien oder der zurückgelegten Schritte messen. Fortschritte in der Robotik und Bionik stehen aus Sicht von Experten künftig an der Spitze der medizinischen Innovation. Allen voran Exoskelette, die Menschen im Job, bei Rehabilitation, Regeneration nach schweren Verletzungen und mit partiellen Lähmungen helfen. Aber im Jahr 2050 dürften Exoskelette – die wahrscheinlich leichter und kleiner sein und aus flexiblen Materialien bestehen werden – nur die Spitze des Eisbergs sein. Ein gemeinsames Forschungsprojekt der JKU und der TU Graz namens „EnableMe 50+“ arbeitet an der Weiterentwicklung dieser Technologie. Eine der ganz großen Herausforderungen sind außerdem die Wiederherstellung der Sehkraft und des Hörvermögens. Die Forschung konzentriert sich dabei auf Augenimplantate, künstliche Cochlea und Ohrknochen, die den Hörverlust korrigieren könnten. Hier helfen Stimulatoren, die mit Lichtimpulsen arbeiten, die Muskulatur anzuregen.
Oberösterreich übernimmt Vorreiterrolle
Im Forschungsprojekt MEDUSA (Medical Education in Surgical Aneurysm Clipping) wird ein innovativer Simulator entwickelt, um komplexe Gehirnoperationen trainieren zu können. Die Sicherheit der Patienten hat dabei höchste Priorität. Projektleiterin ist die Forschungsabteilung Medizin-Informatik der RISC Software GmbH im Softwarepark Hagenberg. Ihr Leiter Michael Giretzlehner erklärt: „Operative Eingriffe am Gehirn sind äußerst schwierig und oft nur mithilfe von Hochtechnologie sowie außergewöhnlichen kognitiven und motorischen Fähigkeiten von Neurochirurgen durchführbar. MEDUSA ermöglicht, dass Neurochirurgen und Medizinstudenten diese Fertigkeiten in einer sicheren Umgebung erlernen und trainieren können.“ MEDUSA vereint die Expertise von 13 oberösterreichischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen – darunter der Neuromed Campus des Kepler Universitätsklinikums. Die Nutzung von Synergien in den Bereichen Neurochirurgie, Neurowissenschaften, Künstliche Intelligenz, Medizintechnik, Materialwissenschaften und Zulassung von Medizinprodukten schafft ein Leuchtturmprojekt, das den Wirtschaftsstandort Oberösterreich global sichtbar macht und in zukunftsträchtigen und profitablen Märkten etabliert.
Leistungsstarkes Oberösterreich
Neben dem Leitprojekt MEDUSA dokumentiert auch der Digital Health Call aus dem Jahr 2021 die Stärke der Forschungslandschaft. An den sieben ausgewählten und mit rund drei Millionen Euro dotierten Projekten sind 27 Partner beteiligt, darunter Unternehmen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und die Linzer Johannes Kepler Universität. Die LIFEtool gemeinnützige GmbH überzeugte die Jury mit der IntegraMouse AIR. Die Forschungsgruppe AIST der FH OÖ entwickelte EPILEPSIA, ein tragbares Sensorsystem für Epilepsie-Patienten, das mithilfe Künstlicher Intelligenz Anfälle erkennen und vorhersagen soll. Mit diesen Calls und den gemeinsam mit dem MTC angebotenen Qualifizierungsmaßnahmen – Innovationscamps mit TIMed und der FH Gesundheitsberufe – wird die Branche in Oberösterreich massiv gefördert. „Wir können stolz auf unsere Leistungen hier in Oberösterreich sein. Gemeinsam schaffen wir Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft“, betont Cluster-Managerin Frauke Wurmböck.
Bildung und Forschung
Das Zentrum für technische Innovation in der Medizin (TIMed Center) bündelt die bestehenden Stärken der FH OÖ Fakultäten in Hagenberg, Linz, Wels und Steyr, um ein fakultätsübergreifendes Zentrum zur Entwicklung interdisziplinärer Lösungen für technische Fragestellungen aus den Lebenswissenschaften (Medizin, Biomedizin, Biologie, Biochemie, Molekularbiologie, Biophysik und Bioinformatik) zu realisieren. Zudem forciert das TIMed Center eine technologiezentrierte und wissenschaftlich fundierte akademische Ausbildung in Oberösterreich.
Interdisziplinäre Forschungsfelder
• Biomedizinische Datenanalyse
• Biomedizinische Sensorik
• Biomimetik und Materialentwicklung
• Hochauflösende Bildgebung
• Medizinische Simulatoren und Simulation
Im Dialog mit der Wissenschaft
Mit dem Kepler Science Day werden am 11. Mai 2023 erneut die besten Forscherinnen und Forscher vor den Vorhang geholt. Bei diesem Branchentreffen werden klinische Forschungen, medizinische Grundlagenforschungen und medizinische anwendungsorientierte Forschungen prämiert. Forscherinnen und Forscher sind herzlich eingeladen, Ideen auszutauschen und zu netzwerken.