Künstliche Intelligenz statt weißer Kittel

Dr. Franz Harnoncourt, Vorstandsvorsitzender der OÖ Gesundheitsholding, ist überzeugt, dass Künstliche Intelligenz in den Krankenhäusern immer mehr an Bedeutung gewinnt. © Cityfoto.at / Roland Pelzl
Dr. Franz Harnoncourt, Vorstandsvorsitzender der OÖ Gesundheitsholding, ist überzeugt, dass Künstliche Intelligenz in den Krankenhäusern immer mehr an Bedeutung gewinnt. © Cityfoto.at / Roland Pelzl
Nora Mack BSc MBA, Managerin des Medizintechnik-Cluster der OÖ Standortagentur Business Upper Austria machte die Herausforderungen für die Branche deutlich. © Cityfoto.at / Roland Pelzl
Nora Mack BSc MBA, Managerin des Medizintechnik-Cluster der OÖ Standortagentur Business Upper Austria machte die Herausforderungen für die Branche deutlich. © Cityfoto.at / Roland Pelzl
DI (FH) Thomas Kern, Leiter Center of Excellence – TiMed Center im Softwarepark Hagenberg ist überzeugt, dass künstliche Intelligenz zum vorrangigen Berater von Medizinern wird. © Cityfoto.at / Roland Pelzl
DI (FH) Thomas Kern, Leiter Center of Excellence – TiMed Center im Softwarepark Hagenberg ist überzeugt, dass künstliche Intelligenz zum vorrangigen Berater von Medizinern wird. © Cityfoto.at / Roland Pelzl

10.10.2019

Pflegeroboter, die sich um alte Menschen kümmern, Chirurgen, die trotz Tausender Kilometer Entfernung eine Operation leiten oder Implantate aus dem 3D-Drucker: Digital Health ist längst kein Schlagwort mehr, sondern Realität, die in den kommenden zehn bis 20 Jahren die Welt der Gesundheit revolutionieren wird. Die Entwicklungen bergen aber auch Risiken: Im schlimmsten Fall kann ein Hackerangriff auf Computersysteme das Leben von Patienten gefährden.

Künstliche Intelligenz übernimmt bei Diagnostik und Therapieplanung eine zentrale Rolle, digitale Plattformen werden enormes Wissen speichern und selbstlernend die Weiterentwicklung der Medizin vorantreiben. Die mit der Entwicklung verbundenen Chancen, Risiken und Herausforderungen spielten sowohl bei der Session des Softwareparks Hagenberg als auch bei jener des Medizintechnik-Cluster eine zentrale Rolle.

Der Vormittag widmete sich dem Thema „Digitale Transformation im Gesundheitswesen“. DI (FH) Thomas Kern, Leiter Center of Excellence – TiMed Center im Softwarepark Hagenberg ist überzeugt, dass künstliche Intelligenz zum vorrangigen Berater von Medizinern wird. „Digital Health wirkt unterstützend in allen Diagnose- und Therapieprozessen. Künstliche Intelligenz ist selbstlernend. Damit wird ein Leben ohne sie weder für Ärzte noch für Patienten vorstellbar sein“, betont Kern. Noch ist die Sparte von Unsicherheiten überschattet. In der Praxis scheitert es vor allem an digitalen Angeboten und datenschutzrechtlichen Unsicherheiten. „Es müssen einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die sichere Nutzung sensibler Gesundheitsdaten zu gewährleisten. Der Patient hat die Rechte für seine Daten“, sagt der Experte.

Der Softwarepark Hagenberg ist ein wichtiger Thinktank für die Medizintechnik. „Der Softwarepark Hagenberg hat das Thema Digital Health in diesem Jahr bewusst in den Vordergrund gestellt. Die Medizin ist zunehmend auf Unterstützung durch Künstliche Intelligenz angewiesen: die Technologie soll die Effizienz der Gesundheitsversorgung – und Vorsorge verbessern. Gemeinsam mit der JKU, der Fachhochschule und den Firmen im Softwarepark schaffen wir als Kompetenzzentrum die Rahmenbedingungen, damit Oberösterreich bei der digitalen Transformation eine international bedeutende Rolle einnimmt“, betont Dr. Sonja Mündl, Managerin des Softwareparks Hagenberg.

Medizintechnik-Branche in Aufbruchstimmung

Der zweite Teil der Session spannte den Bogen von Technik zu Gegenwart und Zukunftsvisionen. „Aufbruchstimmung umfasst alle Projekte und Maßnahmen, die bereits gestartet haben als auch jene, die erst starten werden. Allesamt standortrelevant. Allesamt wichtig & wertvoll für die Initiative MED UP“, betont Nora Mack BSc MBA, Managerin des Medizintechnik-Cluster der OÖ Standortagentur Business Upper Austria. So spannte die Session des Medizintechnik-Cluster den Bogen von Realität und Fiktion im breiten Themenfeld „Digital Health“. Die Digitalisierung in der Medizin umfasst unterschiedliche Strömungen: „Es gibt die Quantified Self - Bewegung, wo Menschen über Smartphones und FitnessTracking-Systeme Daten erfassen und wollen, dass der Arzt diese Informationen in die Behandlung einbezieht. Der Einsatz hochkomplexer Augmented und Virtual Reality-Systeme nimmt immer mehr zu und verändert die klassische Arzt-Patientenbeziehung in Richtung einer Arzt-Maschine-Patient-Beziehung. Medizinische Expertensysteme nutzen Big Data und Künstliche Intelligenz um den Arzt in der Diagnostik zu unterstützen“, betonte Nora Mack.

Chancen und Risiken

Und dann gibt es noch die Sache mit dem Vertrauen: Grundsätzlich sind Patienten neuen Technologien gegenüber durchaus aufgeschlossen, wie die inflationären Konsultationen des virtuellen „Kurpfuschers“ Dr. Google zeigen. Wenn es um ernste Befunde, Sorgen, Ängste und Erfahrungsschatz geht, kann die Künstliche Intelligenz mit der menschlichen Zuwendung eines Mediziners aber nicht mithalten. Hier präferiert ein Großteil der Patienten doch den Gang zum Arzt – leider aber immer öfter mit dem im Internet erworbenen Halbwissen als Begleitsymptom. Der Homo Austriacus tickt da ein wenig anders als Zeitgenossen in Asien oder in den USA, wo es inzwischen Krankenhäuser ohne Betten gibt. Hochmoderne Ambulanzen, Diagnostik auf höchstem Niveau, große und erstklassig ausgebildete medizinische Teams, die von Künstlicher Intelligenz unterstützt werden. Eine Vision der Zukunft, mit der auch Dr. Franz Harnoncourt, Vorstandsvorsitzender der OÖ Gesundheitsholding, durchaus einverstanden ist.

Harnoncourt „In zehn Jahren werden Diagnosen im Wohnzimmer statt am Krankenhausbett erstellt.“

Weitere These des Gesundheitsmanagers: In zehn Jahren hat jeder Mensch einen digitalen Zwilling. Das virtuelle Spiegelbild besteht aus selbst gesammelten persönlichen Daten (Apps, Messgeräte) und medizinischen Befunden. Die Datenhoheit liegt bei den Patienten. Ergänzend sollten die elektronische Krankenakte oder Speicherkarten die Informationen sammeln. Die Menschen entscheiden über die Nutzung dieser Daten für die Diagnostik, Behandlung und damit ihr Wohlbefinden und ihre Lebensplanung selbst. Innereuropäisch erfolgt ein Paradigmenwechsel, weil der Staat nicht mehr volles Vertrauen in Bezug auf das Management von Gesundheitsdaten genießt. „E-Health“ hat aber auch Schattenseiten. Die Datensammlung kann bedeuten, dass Algorithmen, Big-Data-Korrelationen und Statistiken bestimmen, wer unter welchen Bedingungen welche medizinische Versorgung bekommt. Gleichzeitig besteht ein enormes Sicherheits-Risiko für Millionen Gesundheitsdaten. Hier setzt eine weitere Problematik an: „In zehn Jahren wird der Staat, ob auf nationaler oder europäischer Ebene, eine unverzichtbare Rolle als interaktiver Regulator einnehmen. In einem permanenten Dialog mit der Gesellschaft wird er einen dynamischen, laufend an technologische und gesellschaftliche Entwicklungen angepassten Rahmen für Gesundheitsangebote setzen“, betont Harnoncourt. Der Gesundheitsmanager bringt damit die Rahmenbedingungen für verantwortungsvolles Datenmanagement zur Sprache. Innovation im Spannungsfeld mit Regularien, sieht auch DI (FH) Andreas Oyrer Geschäftsführer von CDE – Communications Data Engineering kritisch. Trotz aller Probleme ist die Entwicklung eindeutig und nicht mehr umkehrbar. Digitalisierte Medizindaten helfen den Patienten und tragen auch zur Entlastung der Ärzte bei - beispielsweise wenn chronische Patienten virtuell mit Ärzten in Verbindung stehen.

Die etwas anderen Viren

Im Umgang mit Viren, an denen Menschen erkranken, haben Mediziner jahrzehntelange Erfahrung. Ein Computer-Infekt kann dagegen zu einem Infarkt im Spitalsalltag führen. Viele Krankenhäuser haben komplett auf eine digitale Verwaltung von Patienteninformationen, klinischer Dokumentation und Finanzen umgestellt. Fällt eine Datenbank aus, wird es kritisch. Wenn es kein Back-up gibt, beeinträchtigt ein Ausfall der Informations- und Kommunikationstechnik ein Krankenhaus erheblich. Für IT-Profis sind dagegen Hackerangriffe eine massive Bedrohung. Wenn Nanobots zum Beispiel Krankheiten in unserem Körper entdecken oder angreifen – können sie dann ferngesteuert von Terroristen auch Krankheiten auslösen oder uns mit Falschmeldungen Angst machen? Konkrete Ziele wären auch Computer, die Medikamentenabgabe an Patienten steuern. „Wenn durch Manipulationen eine Überdosis verabreicht wird, kann das im schlimmsten Fall das Leben des Patienten gefährden“, betont Peter Panholzer, Geschäftsführer der Limes Security GmbH. Auch bei bereits alltäglichen Dingen, wie Herzschrittmachern, sei Vorsicht geboten. Eine optimale Absicherung aller Systeme gegen Hackerangriffe ist ein Gebot der Stunde – dafür sind professionelle Lösungen und Expertenwissen notwendig. Vereinfacht gesagt, geht es darum, den Angreifern immer einen Schritt voraus zu sein und zu agieren statt reagieren zu müssen. Im Gegensatz zu Computern, bei denen oft mehrmals täglich Anti-Viren-Programme und Updates laufen, können Roboter in einem Operationssaal nicht einfach außer Betrieb genommen werden. „Nach einer Wartung und Aktualisierung der Software ist wieder eine generalisierte Freigabe erforderlich“, betont Panholzer.

Cyborg im Dienste der Gesundheit

Sensorik wird die Menschen ein ganzes Leben begleiten. Automatische Warn- und Diagnosesysteme helfen, individuelle Risiken und Kosten zu reduzieren und Lebensgewohnheiten positiv beeinflussen. Technologien wie z.B. implantierte Chips oder am Körper getragene Smart-Devices, werden es ermöglichen, permanent den eigenen Gesundheitsstatus abzurufen und Verhaltensweisen danach auszurichten. Der Cyborg, also ein Mensch mit Maschinenteilen, ist damit keine Science-Fiction mehr, sondern gelebtes Gesundheitskonzept einer breiten Masse. Präzise Diagnosen, effizientere Therapien, neues Wissen über Krankheiten und Kosteneinsparungen: Die Erwartungen an Sensortechnologien sowie die Digitalisierung und Vernetzung von Daten sind hochgesteckt. Damit bleiben noch Hilfsmittel wie Prothesen als wichtiger Punkt. Auch hier gibt es eine klare Vision: In zehn Jahren wird die Rekonstruktion von Körperteilen für die breite Masse leistbar. Materialien und Prozesse zur Rekonstruktion von Körperteilen können künftig mit dem 3D-Drucker kostengünstig und maßgeschneidert produziert werden. MEDUSA, das Leitprojekt Medizintechnik der Initiative „MED UP – Medical Upper Austria“, will genau das umsetzen und noch einen Schritt weitergehen. Ein hybrider neurochirurgischer Simulator soll die reale und virtuelle Welt miteinander verbinden, um vielseitige und realistische Trainingsmöglichkeiten zu schaffen und auch helfen, Operationen genau zu planen. Chirurgen können den künstlich gefertigten Schädel eines Patienten haptisch fühlen und innere, ansonsten nicht sichtbare anatomische Strukturen in Form von virtuell erzeugten Hologrammen sehen. „Operative Eingriffe am Gehirn sind äußerst schwierig und oft nur mit Hilfe von Hochtechnologie sowie außergewöhnlichen kognitiven und motorischen Fähigkeiten von Neurochirurgen möglich“, betont Dr. Michael Giretzlehner, Leitung Forschungsabteilung Medizin-Informatik der RISC Software GmbH. Medusa ist ein Zusammenspiel zahlreicher Unternehmen, Forschungseinrichtungen und dem Neuromed-Campus des Kepler-Uniklinikums. Wie bei einem Puzzle mussten die passenden Partner gefunden werden. „Bereits beim ersten Workshop war klar, dass es für alle Beteiligten passt. Eines unserer Erfolgskriterien ist: Niemand muss sich verbiegen.“ Im November sollen die Fortschritte bei MEDUSA der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Innovationen am Prüfstand

Die Medizintechnik-Branche ist allerdings mit Herausforderungen konfrontiert. Mit 26. Mai 2020 tritt die neue EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) in Kraft. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass es nicht mehr als zwölf Benannte Stellen bis zum Ende des Jahres, fünf Monate vor Ablauf der Frist, geben wird. Daraus resultieren massive Probleme: Bei den bestehenden Benannten Stellen „duellieren“ sich die Anfragen österreichischer Klein- und Mittelunternehmen mit Vorlagen der großen, global agierenden, etablierten Medizinproduktehersteller Europas. Erfahrungsgemäß werden bei den benannten Stellen Bestandskunden den Neukunden vorgezogen. Auch Großkunden mit Medizinprodukten in niedrigen Risikoklassen haben gegenüber den Kleinkunden mit Produkten höherer Klassen einen Startvorteil. Für die heimische Wirtschaft entstand hier ein Nadelöhr. Diese „Time to market“ ist aber insbesondere für Start-ups existentiell und bedeutsam.

QMD Services hat großes Ziel

QMD Services, das im Dezember 2018, neu gegründete Tochter-Unternehmen von Quality Austria, will eine europäische Benannte Stelle nach den neuen Verordnungen (EU) 2017/745 für Medizinprodukte (MDR) und (EU) 2017/746 für In-vitro-Diagnostika (IVDR) werden. „Derzeit gibt es in Österreich keine heimische Benannte Stelle für eine Produktzulassung im Medizinproduktebereich. Wir möchten diesem Defizit entgegentreten und ein wichtiger Partner für die heimische Wirtschaft sein“, sagt Anni Koubek, Geschäftsführerin der QMD Services.

Wachstum & Chancen

Wenn sich die Medizintechnik-Branche in Aufbruchstimmung befindet, ist das Thema Start-Ups und Gründungen naheliegend. Mag. Raphael Friedl, Geschäftsführer von tech2b, dem Inkubator des Landes OÖ, hat daher den MedTech-Inkubator, eine Kooperation von Medizintechnik-Cluster und tech2b vorgestellt. Ein maßgeschneidertes Programm für all jene Gründer, die tatsächlich ein Medizinprodukt auf den Markt bringen wollen.

Es geht um Digital Health als Wachstumsbranche. Es geht um den Medizintechnik-Standort OÖ als Zukunftsfeld. Mag. Erich Lehner von Ernst & Young hat diese Aussage in seinem Vortrag mit dem Titel „From Participants to Principals – wie neue Ecosysteme die Zukunft der Life Science Player beeinflussen“ mit Zahlen, Daten und Fakten untermauert. Seine Schlussfolgerung: Die Rahmenbedingungen passen, um international eine Spitzenrolle einzunehmen und zu behalten.

 

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