Beschichtung lässt Oberflächen steril werden

Karl-Heinz Stellnberger aus der voestalpine Steel Division entwickelt revolutionäre Oberflächenbeschichtungen, die quasi von selbst steril werden. © Margit Berger
Karl-Heinz Stellnberger aus der voestalpine Steel Division entwickelt revolutionäre Oberflächenbeschichtungen, die quasi von selbst steril werden. © Margit Berger
Die Weiterentwicklung von Materialeigenschaften steht im Fokus. © CIC | Corporate Image Consulting GmbH
Die Weiterentwicklung von Materialeigenschaften steht im Fokus. © CIC | Corporate Image Consulting GmbH
Prototypen der AMC-Beschichtungen werden in der voestalpine bereits hergestellt. Sie sollen in der Folge in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen oder auch Laboren eingesetzt werden. ® CIC | Corporate Image Consulting GmbH
Prototypen der AMC-Beschichtungen werden in der voestalpine bereits hergestellt. Sie sollen in der Folge in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen oder auch Laboren eingesetzt werden. ® CIC | Corporate Image Consulting GmbH

19.07.2022

Keime, Viren, Sporen und Pilze werden durch Kontakte oder per Luft auf Oberflächen übertragen und so zu einer Infektionsquelle. Mit einer neuen Technologie entwickelte die voestalpine Stahl sterile Beschichtungen und steht damit kurz vor dem Durchbruch zur Marktreife. Im Interview beschreibt Karl-Heinz Stellnberger aus dem Fachbereich Korrosionsschutz die Technologie und daraus resultierende Chancen für die Medizintechnik.

Wie entstand die Idee, sterile Oberflächenbeschichtungen zu erzeugen und welche Expertise beweist, dass die Technologie in der Praxis funktioniert?

Die voestalpine Steel Division betreibt seit rund zwei Jahren einen new business incubator (nbi), in dem wir innovative, bahnbrechende Ideen ausreifen und zum Business entwickeln. Mit originellen Geschäftsmodellen können so neue Ufer abseits des bisherigen Kerngeschäftes erreicht werden. Ich leite ein Projektteam im nbi, das sich mit neuen umweltfreundlichen und nachhaltigen Beschichtungen und deren Marktpotenzial beschäftigt. Jetzt stehen wir vor einem nahezu revolutionären Schritt mit Oberflächenbeschichtungen, die – banal ausgedrückt – von selbst steril werden. Ihre antimikrobielle Wirksamkeit (AMC) wird von Dr. Clemens Kittinger, einem führenden österreichischen Experten an der MedUni Graz, intensiv untersucht.

Welche Eigenschaften haben diese Oberflächenbeschichtungen und wie kann die Medizintechnik davon profitieren?

voestalpine möchte mit AMC-Oberflächen auf Stahlband den neuen Megatrend Gesundheit mitbegleiten, die Medizintechnik unterstützen und damit wieder einen Schritt voraus sein. Nicht nur in der Medizin und Lebensmittelbranche sind Oberflächen gefragt, die lange steril bleiben, einfach sterilisiert und schwer kontaminiert werden können. Unsere AMC-Beschichtungen besitzen eine Art hygienische (Ver-)Sicherung: Nach ein bis drei Stunden sind determinierte Oberflächen zu 99,99 % frei von Viren, Bakterien, Pilze und Sporen. Die gegenwärtige COVID-Pandemie zeigt, wie wichtig eine keimfreie Umgebung ist.

Wie funktioniert die Technologie und welche Anwendungsgebiete haben Sie im Visier?

Wir beschäftigen uns mit einer neuartigen, nachhaltigen PVD-Beschichtung (PVD = physical vapour deposition), wo Metalle und Verbindungen aus der Dampfphase im Vakuum auf Stahlband abgeschieden werden. Endziel jeder neuen Technologie muss auch deren Nutzen sein. Denken wir an die aktuelle Diskussion über die Notwendigkeit von Lüftungsanlagen in Schulen oder Büros. Hier würden unsere Beschichtungen einen enormen Benefit bringen, um die Räume steril zu halten. Weitere Anwendungsbereiche dieser AMC-Beschichtungen sind Oberflächen, die nicht täglich gereinigt und desinfiziert werden müssen wie etwa Lagerräume, Kästen, Einrichtungsgegenstände in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen oder auch in Schulen.

Wie sehen Sie die wirtschaftlichen Chancen und wann werden die ersten Produkte am Markt sein?

Das Marktwachstum wird zweistellig pro Jahr beziffert. Wann die ersten Produkte erhältlich sein werden, hängt von den weiteren Entwicklungsschritten ab. Wir haben in der voestalpine eine Anlage und können bereits Prototypen herstellen. Die Nachfrage kommt aus verschiedenen Branchen – von der Hausindustrie bis zur Kühllogistik. Wir haben aber bereits ein Produkt in der Pipeline, mit dem wir höchste Hygienemaßstäbe erreichen.

Kurzer Blick in die Zukunft: Wie werden die AMC-Oberflächen den Alltag prägen?

Die Anwendungen sind vielfältig. Primäre Einsatzgebiete sind natürlich Spitäler, Altenund Pflegeheime, Schulen, Labore – eigentlich alle Einrichtung, wo sterile Oberflächen sinnvoll sind. Ein wichtiges Einsatzgebiet ist auch die Lebensmittelbranche: von Lagerhallen, Regalen, Kühlvitrinen bis hin zu den Supermärkten und Transportfahrzeugen. Ich denke aber auch an Sanitäranlagen, die Flugzeug- und Bahnbranche und vieles mehr.

Stichwort Nachhaltigkeit: Wie umweltfreundlich sind die AMC-Beschichtungen?

Hier arbeiten wir auf Top-Niveau: Bei der Produktion entstehen keine Abwässer oder Emissionen. Die Technologie ist zu 100 % umweltfreundlich.