13.07.2022
Im Jahr 2002 wurde durch die Gründung des Gesundheitstechnologie-Clusters in Oberösterreich ein Netzwerk mit der Aufgabenstellung geknüpft, im internationalen Spitzenfeld der Branche mitmischen zu können. Forschung, Bildung, Wirtschaft, Künstliche Intelligenz und menschliches Wissen müssen eine Schnittmenge bilden, um den Fortschritt in der Medizin noch weiter zu beschleunigen. Mit der Umbenennung in Medizintechnik-Cluster wurde dieser Zielsetzung auch verbal Rechnung getragen. Das Erfolgskonzept braucht dagegen nicht geändert zu werden, wie die vom MTC begleiteten Erfolgsgeschichten beweisen.
In der griechischen Mythologie trug die MEDUSA Schlangen als Haare und versteinerte jeden, der sie erblickte. Auf die Gegenwart projiziert, sorgt ein namensgleiches Forschungsprojekt international für Staunen. Das vom MTC begleitete Projekt MEDUSA (Medical Education in Surgical Aneurysm clipping) ging 2019 aus dem vom Land Oberösterreich ausgeschriebenen und mit 2,3 Millionen Euro dotierten Leitprojekt „Medizintechnik“ hervor. Dabei kooperieren sieben Forschungseinrichtungen und sechs Unternehmen aus OÖ, die auch selbst in das Forschungsprojekt investieren. MEDUSA ist ein Simulator, der Medizinern ermöglicht, schwierige Operationen am Gehirn im Vorfeld 1:1 zu trainieren. Eine Symbiose von realer und virtueller Welt, die Generationen von Medizinstudenten und Ärzten ermöglichen wird, die für derart komplizierte Eingriffe erforderlichen Techniken zu erlernen und damit Menschenleben zu retten. Auch in Fällen, in denen Operationen bisher im wahrsten Sinn des Wortes auf des Messers Schneide standen.
Der erste MEDUSA-Prototyp ist fertig. Die Nutzung von Synergien in den Bereichen Neurochirurgie, Neurowissenschaften, Künstliche Intelligenz (KI), Medizintechnik, Materialwissenschaften und Zulassung von Medizinprodukten schafft ein Leuchtturmprojekt, das den Wirtschaftsstandort Oberösterreich global sichtbar macht und in zukunftsträchtigen und profitablen Märken etabliert. Als Drehscheibe fungiert dabei der Medizintechnik-Cluster (MTC). Bereits in den ersten zehn Jahren seines Bestehens entstanden viele nachhaltige Verbindungen. So auch zwischen den Partnerunternehmen der ersten Stunde – der AKAtech GmbH in Frankenmarkt und der Greiner Bio-One GmbH in Kremsmünster, deren CEO Axel Kühner jahrelang ehrenamtlich die verantwortungsvolle Aufgabe des Beiratssprechers im MTC übernahm. Auch die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Gesundheitseinrichtungen wird seit der Gründung forciert. „Nur durch den direkten Austausch können Innovationen, fehlende Produkte und Technologien oder Optimierungspotenziale erkannt, aufgegriffen und umgesetzt werden“, sagt Karl Lehner, Mitglied der Geschäftsführung der Oö. Gesundheitsholding GmbH, die mit ihrer 100%-Tochter Kepler Universitätsklinikum die größte Spitalsträgerin im Land ist.
Maximilian Kolmbauer leitete den Cluster von 2005 bis 2009, heute ist er als Geschäftsführer der „sauber & partner gmbh und s&p sued gmbh erfolgreich. Aus seiner Sicht war wichtig, dass sich der Cluster auch international Aufmerksamkeit verschafft. „Die wichtigsten Projekte, die wir realisieren konnten, waren sicherlich die Etablierung des Schwerpunktes Medizintechnik samt internationaler Messeauftritte für unsere Firmen“, betont Kolmbauer. Möglich wurde das auch durch die intensive Zusammenarbeit mit den Regionen/Netzwerken in der Steiermark, Tirol und teilweise auch Wien. In der Folge nahm die Digitale Transformation an Fahrt auf, diesem Trend konnte sich auch der MTC nicht entziehen. Nora Mack, die die Geschicke des Clusters von 2012 bis 2021 leitete, forcierte mit ihrem Team die neuen Entwicklungen. „Wenn man Zutaten wie Digitalisierung, Transformation und Netzwerkorganisation mit den zentralen Aspekten der MedTech-Branche mischt, entstehen Cocktails wie personalisierte Medizin, Telemedizin und Digital Patient Journey. Der MTC spielt in dieser Metapher als „Bartender“ eine wichtige Rolle, um das zentrale Thema der Innovation einen Schritt weiter zu tragen.“
In der Medizin hatte der Computer bis vor wenigen Jahrzehnten keine Chance. „Die Diagnose erfahren sie vom Patienten“, dozierten Generationen von Professoren in stickigen Hörsälen. Die Praxis schloss sich dem an: Wissen, Erfahrungsschatz, Intuition und Einfühlungsvermögen entschieden über Behandlungen und deren Erfolg. Diagnosegeräte, Laboruntersuchungen, Medikamente und technische Hilfsmittel standen in der Rangordnung weit unter den Spezialisten, die ihr Fach von der Pike auf gelernt und mit zunehmender Routine perfektioniert hatten. Ein Bruch in der alltäglichen Hierarchie zwischen Mensch und Maschine kam etwa zur Jahrtausendwende: Bilddaten wurden automatisch analysiert, Logarithmen bestimmten die Erfolgsaussichten beim Implizieren neuer Behandlungsmethoden. Ständig aktualisierte elektronische Datenbanken ergänzten Tausende Seiten starke Werke der medizinischen Fachliteratur. KI erspart dem Arzt viel Zeit und erschließt den Patienten hoffnungsvolle neue Wege. Dabei geht es nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern die Möglichkeiten von Forschern und Therapeuten zu erweitern – die Maschine als Assistent für die menschlichen Sinne einzusetzen. Denn in vielen Disziplinen, etwa bei der Suche nach neuen Wirkstoffen für Medikamente oder als Roboter für präzise Operationen, sind Computer dem Menschen schon heute weit überlegen.
Oberösterreich hat das klare Ziel, zu einem Hotspot in der Medizintechnik zu werden. Das Land OÖ stellte deshalb im Jahr 2021 4,76 Millionen Euro für den Fördercall „Digital Health – The Digital Patient Journey“ zur Verfügung, um die Patientenversorgung und -sicherheit entlang der digitalen Wertschöpfung (Prävention/Diagnose und Therapie/Nachbetreuung) zu verbessern. Im Zentrum eines digitalisierten Gesundheitswesens stehen Lösungen, die Daten von Patienten erfassen, aufbereiten, auswerten und so alle Behandlungsschritte von der Prävention bis zur Nachsorge verbessern. Eine Grundvoraussetzung dafür ist die Akzeptanz der neuen Technologien beim Nutzer. Themen wie Datensicherheit und Kontrolle über die eigenen Daten gewinnen an Relevanz. Das Ergebnis des Calls stellte eindrucksvoll unter Beweis, welches Potenzial vorhanden ist: Die Jury wählte aus elf Einreichungen insgesamt sieben Projekte aus, die Fördermittel des Landes in Höhe von drei Millionen Euro erhalten. Die Ideen-Palette reicht von Softwaretools als Frühwarnsystem bei Schlaganfällen oder epileptischen Anfällen bis zur pränatalen Unterschalldiagnostik.
2020 stand der Medizintechnik-Cluster selbst im Rampenlicht und wurde für seine erstklassige Arbeit ausgezeichnet. Das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort hatte einen Preis ausgeschrieben, um die Leistungen der rund 80 österreichischen Cluster sichtbar zu machen. Unter den vier Preisträgern war der MTC als Gewinner in der Kategorie „Forschung und Innovation“. „Der Medizintechnik-Cluster in Oberösterreich ist ein zentraler Baustein im Technologietransfer und hat mit dem Leitprojekt ‚Med-Up‘ einen wichtigen Schritt gesetzt, um den MedTech-Standort für Partner aus Industrie, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesundheit zu attraktivieren“, sagte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck bei der Preisübergabe.
Bei Medizintechnik steht Oberösterreich für Unternehmen, die zur Weltelite gehören. Für Menschen, die forschen, lehren und zu den Besten auf ihrem Gebiet gehören. Für Spitzenmedizin und innovative Forschungs- und Bildungseinrichtungen. Der Schulterschluss verschiedener Sparten sowie damit verbundene Synergieeffekte machen das Bundesland zu einem erstklassigen Medizintechnik-Standort. Alleine die Unternehmen des Medizintechnik-Clusters geben 200 Mio. Euro jährlich für Forschung und Entwicklung aus, was einer hohen F&E-Quote von 4,3 Prozent entspricht. Die Medizinprodukte-Branche umfasst in Oberösterreich 60 Unternehmen mit rund 7.000 Mitarbeitern. Diese Unternehmen erzielen insgesamt einen Umsatz von 2,6 Milliarden Euro pro Jahr. „Unsere Vision ist eine Region, in der sich neue Betriebe und Forscher ansiedeln sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, die auf höchstem Level arbeiten. Wir wollen international für Gesprächsstoff sorgen und Oberösterreich zum Hotspot machen“, betont Markus Achleitner, Landesrat für Wirtschaft und Forschung. Laut einer Studie von McKinsey & Company können durch den Einsatz digitaler Technologien im österreichischen Gesundheitswesen bis zu 4,7 Milliarden Euro jährlich eingespart werden. Dies entspricht rund 14 % der gesamten jährlichen Gesundheits- und Versorgungskosten von zuletzt 35 Mrd. Euro.
Bei den Partnerunternehmen des Clusters gibt es zahlreiche eindrucksvolle Erfolgsbeispiele. Symptoma ist ein 2006 gegründetes KMU aus Österreich, das Menschen auf dem Weg zur korrekten Diagnose und Behandlung unterstützt. Möglich macht das der gleichnamige digitale Gesundheitsassistent: Unter www.symptoma.at geben Ärzte und Patienten Symptome ein, beantworten Fragen dazu und bekommen eine Liste der möglichen Ursachen angezeigt – sortiert nach Wahrscheinlichkeit. „Unsere Vision ist es, die Präzisionsmedizin zu ermöglichen. Jeder Patient verdient die richtige Diagnose und Behandlung”, bekräftigt Geschäftsführer Jama Nateqi. Für diese Vision hat Symptoma die größte Krankheitsdatenbank der Welt etabliert: Stolze 20.000 Krankheiten sowie Milliarden Symptomverbindungen und Risikofaktoren werden berücksichtigt. Auf diese Weise werden selbst extrem seltene Krankheiten aufgedeckt. Symptomas enorm hohe Treffergenauigkeit (> 96 %) setzt dabei neue Standards in der Branche und basiert auf 15 Jahren Forschung und Entwicklung durch Mediziner und Datenwissenschaftler. Sie wurde in internen, externen und wissenschaftlich geprüften Studien demonstriert und publiziert, u. a. von Pfizer und Nature. Im globalen Vergleich von bis zu 104 Lösungen landete Symptoma mit Abstand auf Platz 1.
Mit dem MedTech-Inkubator gibt es eine eigene und einzigartige Förderschiene für Menschen, die gute Ideen haben, aber Hilfe bei der Umsetzung brauchen. Das Projekt startete 2018 mit einer Pilotphase. In dieser Zeit wurden bereits 16 Start-ups aus dem medizinischen Bereich betreut. Knapp die Hälfte davon gründete ein Unternehmen. Eines davon ist Pansatori von Klaus Grübl. Der Mann litt viele Jahre an Tinnitus und hat schließlich einen Ohrbügel entwickelt, der das störende Ohrgeräusch stark reduziert – durch sanften Druck, ganz ohne operativen Eingriff. „Ich bin sehr froh, dass es den MedTech-Inkubator gibt, denn ohne ihn hätten wir es nicht geschafft, in einer so unglaublich kurzen Zeitspanne von der Idee zu einem medizintechnisch und regulatorisch fitten Unternehmen zu werden”, sagt Grübl. Abgesehen von den Unternehmensgründungen brachte die Zusammenarbeit mit tech2b und dem MTC sieben Patentanmeldungen und fünf bereits auf dem Markt eingeführte Produkte. In Summe konnten 1,8 Millionen Euro an Forschungsförderungen sowie 1,1 Millionen an privaten Investitionen generiert werden.
Bei aller Euphorie gibt es einen Bremsklotz, der die Dynamik der Entwicklungen – vorsichtig ausgedrückt – etwas kompliziert macht. Eine Benannte Stelle ist dringend notwendig, um den Stau bei Marktzulassungen zu beseitigen. Bei den bestehenden Benannten Stellen „duellieren“ sich die Anfragen österreichischer Klein- und Mittelunternehmen mit Vorlagen der großen, global agierenden, etablierten Medizinproduktehersteller Europas. Großkunden mit Medizinprodukten in niedrigen Risikoklassen haben gegenüber den Kleinkunden mit Produkten höherer Klassen einen Startvorteil. Für die heimische Wirtschaft entstand hier ein Nadelöhr. Diese „Time to market“ ist aber insbesondere für Start-ups existenziell und bedeutsam. QMD Services, das im Dezember 2018 neu gegründete Tochter-Unternehmen von Quality Austria, will in Linz eine europäische Benannte Stelle nach den neuen Verordnungen (EU) 2017/745 für Medizinprodukte (MDR) und (EU) 2017/746 für In-vitro-Diagnostika (IVDR) werden. „Derzeit gibt es in Österreich keine heimische Benannte Stelle für eine Produktzulassung im Medizinproduktebereich. Wir möchten diesem Defizit entgegentreten und ein wichtiger Partner für die heimische Wirtschaft sein“, sagt Anni Koubek, Geschäftsführerin der QMD Services.
Die oberösterreichische MedTech-Branche hat sich in den vergangenen Jahren stark entwickelt. In der Verknüpfung von Anwendungsfeldern aus Medizin und Gesundheit mit Lösungen aus der Technik nehmen die Entwicklung, Herstellung und der Betrieb medizintechnischer Produkte einen immer größeren Stellenwert ein. Entscheidend für den fortlaufenden Erfolg Oberösterreichs wird aber sein, wie gut die Abstimmung zwischen Wirtschaft, Forschung und Medizin funktioniert. Hier setzt Oberösterreichs Wirtschafts- und Forschungsstrategie #upperVISION2030 an: In Summe wird das Land OÖ bis 2030 eine Milliarde Euro an Wirtschaftsund Forschungsförderungen investieren, um Oberösterreich im Wettbewerb der Standorte noch weiter nach vorne zu bringen. Medizintechnik ist eines der vier Handlungsfelder, die davon profitieren werden.