12.07.2023
Erfreulicherweise werden die Menschen immer älter. Doch eine längere Lebenszeit hat nicht automatisch eine gesündere Bevölkerung zur Folge. Im Gegenteil: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) steigt mit der Lebenserwartung auch die Zahl derer, die betreut und medizinisch versorgt werden müssen. Eine Prognose, die ein neues Licht auf das Pflegethema wirft.
Ein Blick in die Zukunft zeigt: Der Bevölkerungsanteil der Über-65-Jährigen steigt laut Statistik Austria in den nächsten drei Jahrzehnten von 19,4 % (2021) auf 27,8 % (2050). Diese Entwicklung wird dazu führen, dass es nicht genügend Pflegebetten, vor allem aber nicht ausreichend Pflegekräfte geben wird, weil gleichzeitig der Anteil der berufstätigen Menschen sinkt.
Oberösterreich will dem drohenden Pflegemangel offensiv begegnen. Neben der Entlastung bestehender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter soll eine attraktive und vielfältige Ausbildung neue Pflegekräfte hervorbringen. Ab Herbst 2023 starten daher neue Möglichkeiten für die Pflegeausbildung – von der Lehre über Formen mit Matura bis hin zum Einstieg ohne pflegerische Vorkenntnisse. Sie alle zielen darauf ab, jeder und jedem Interessierten die passende Ausbildung in der richtigen Lebenssituation zu ermöglichen. Ein Blick auf die Webseite der Soziales Netzwerk GmbH – www.sinnstifter.at – lohnt sich.
Neu ist die Möglichkeit, sich zur Pflegeassistenz (Ausbildungsdauer drei Jahre) oder Pflegefachassistenz (Ausbildungsdauer vier Jahre) ausbilden zu lassen. Oberösterreich ist eines von vier Bundesländern, die diese neue Ausbildung ab Herbst 2023 anbieten werden. Derzeit gibt es noch keine Lehrausbildung im Pflegebereich, wodurch viel qualifikatorisches Potenzial vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen verloren geht.
Denn eine Studie im Auftrag des Landes Oberösterreich und der Soziales Netzwerk GmbH hat gezeigt, dass man junge Menschen durchaus für den Pflegeberuf gewinnen kann: Für mehr als ein Viertel ist ein Pflegeberuf in der Altenarbeit zumindest sehr bzw. eher attraktiv (27 Prozent). Rund ein Viertel der Jugendlichen hat grundsätzliches Interesse am Pflegeberuf (23 Prozent). Das entspricht einem Fachkräftepotenzial im weitesten Sinne von rund 44.000 Personen in Oberösterreich.
Auch der Medizintechnik-Cluster (MTC) will in den nächsten Jahren gemeinsam mit seinen Partnerunternehmen und Oberösterreichs Forschungseinrichtungen seinen Teil dazu beitragen, die Pflegekrise zu mildern. Ein möglicher Zugang ist die Entwicklung von intelligenten und unterstützenden Tools für Pflegekräfte, pflegende Angehörige und die Selbstversorgung zuhause. Auf Einladung der Abteilung Soziales des Landes Oberösterreich trafen sich Anfang März 50 Unternehmen, Sozialeinrichtungen und Forscher in der Tabakfabrik Linz, um gemeinsam Ideen für digitale Lösungen in der Pflege zu entwickeln. In einem Design Thinking Workshop des MTC wurden zahreiche Ideen in Prototypen für konkrete Produkte umgewandelt, die nun für eine Förderung im Rahmen des Pflegetechnologiefonds eingereicht werden sollen. „Unsere Partner entwickeln genau die Lösungen, die Pflegeeinrichtungen und Sozialverbände brauchen. Wir wollen mit unseren Kooperationsprojekten und unserer Expertise dabei helfen, diese notwendigen Innovationen zu beschleunigen“, sagt Cluster-Managerin Frauke Wurmböck.
Auf die Frage, wo Digitalisierung in der Pflege entlasten kann, wird ein Punkt stets genannt: bei der Dokumentation. Die Dokumentation ist ein integraler Bestandteil der Pflegetätigkeit. Sie ist wichtig, um den Genesungsfortschritt verfolgen zu können und die Behandlung, falls nötig, neu auszurichten. Allerdings ist der Prozess dahinter sehr zeitintensiv. Das Projekt „NUDOCU“ – ein gemeinsames Vorhaben der Solgenium OG, der Barmherzigen Brüder Linz, der FH OÖ und des Software Competence Centers Hagenberg – soll Pflegepersonal von aufwendigen Dokumentationsaufgaben entlasten, bei gleichzeitiger Steigerung der Informationsqualität.
Bei diesem innovativen Ansatz kommen Human Activity Recognition (HAR), also das Erkennen menschlicher Aktivitäten, und Künstliche lntelligenz (Kl) zum Einsatz. Beispielsweise durch Wearables – kleine Computersysteme, die direkt am Körper getragen werden – erkennt das System künftig, ob die Pflegeperson bei Patienten Pflegeleistungen in der Grundpflege durchführt oder Infusionen verabreicht. Dank intelligenter Systeme ist nicht mehr jeder einzelne Schritt, sondern nur noch die Bestätigung der automatisch erfassten Leistungen durchzuführen. Die Tätigkeit als solche, die Dauer etc. dokumentiert das System von selbst.
Das Projektteam erwartet sich eine Unterstützung in der direkten Patientenversorgung, die sich nachweislich auch positiv auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden auswirkt. „Unter Zuhilfenahme neuester Technologie wollen wir attraktive Rahmenbedingungen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege weiter ausgestalten und Vorreiter der digitalen Pflegedokumentation bleiben,“ erklärt Lydia Gromer, Pflegedirektorin der Österreichischen Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder.
Der Fachkräftemangel im Pflegebereich betrifft nicht nur Österreich – in nahezu ganz Mitteleuropa ist das Thema brisant. Deshalb haben sich der MTC und die Education Group als österreichische Partner mit acht weiteren Organisationen aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Deutschland im Projekt „VReduMED“ zusammengeschlossen, um die Ausbildung im Pflegebereich und die Qualifizierung von Pflegefachkräften durch den Einsatz von Virtual Reality (VR) zu bereichern. Außerdem will das Projekt die Einführung von MedTech-Assistenzsystemen im Pflegesektor fördern und die ko-kreative Entwicklung bedarfsgerechter MedTech-Lösungen anstoßen.
In Österreich pflegen knapp eine Million Menschen ihre Angehörigen. Viele von ihnen sind darauf nicht vorbereitet und rutschen von heute auf morgen in diese schwierige Aufgabe hinein. Ein Pflegeprozess dauert oft Jahre, das bringt die betreuenden Personen nicht selten an ihre Grenzen. Willkommen sind in solchen Situationen Alltagshilfen, die pflegenden Angehörigen Zeit zum Durchatmen geben. Ein solcher digitaler Assistent ist die LICA-App. „Angehörige bekommen mit dieser App ein kostenloses Hilfsmittel, das mehr Sicherheit bringt und im Ernstfall sogar Menschenleben retten kann“, betont Wolfgang Bayer, Geschäftsführer der LICA LifeCare GmbH. Die App unterstützt die betreuenden Personen in ihrem täglichen Tun und ist einfach über das Handy oder Tablet zu bedienen. Sie dokumentiert wichtige Informationen wie Blutdruck, Ernährungsgewohnheiten, Körpergewicht, Allgemeinbefinden oder Medikamenteneinnahme – so sehen auch Laien auf den ersten Blick, ob alles in Ordnung ist oder Handlungsbedarf besteht.
Ein weiteres Beispiel für praktische Unterstützung im Pflegealltag ist ReadyWrap vom Medizinproduktehersteller Lohmann & Rauscher. ReadyWrap wurde entwickelt, um die Kompressionstherapie für Patienten mit venösen oder lymphatischen Krankheiten einfacher zu machen. Das Besondere an dem Produkt: ReadyWrap kann von Patienten oder deren Angehörigen mittels Klettverschluss selbst angelegt und individuell angepasst werden. Diese Möglichkeit der Selbstversorgung bringt nicht nur mehr Eigenständigkeit für die Patienten, sie entlastet nebenbei auch die pflegenden Angehörigen.
Die meisten Menschen möchten auch im hohen Alter möglichst lange selbstbestimmt und eigenständig in ihrem eigenen Zuhause leben und ihren Alltag bewältigen können. Die erste Vereinigung in Europa, die Unterstützung für diese Personen bietet, ist die Lebensbegleitung – LIFE CARE eGEN mit Sitz in Linz. „Mit unserer breit aufgestellten Genossenschaft (Gründer: Elisabethinen Österreich, FraGes Holding, Barmherzige Schwestern Ried, OÖ Versicherung, LICA Life Care) sprechen wir einerseits Menschen an, die im häuslichen Umfeld älter, begleitet oder betreut werden oder die auch selbst betreuen“, erklärt Johann Stroblmair, Geschäftsführer der FraGes Holding und Vorstand der Genossenschaft. Vorstandskollege Michael Schiemer ergänzt: „Wir setzen uns zum Ziel, ohne große Umwege und Bürokratien bedarfsgerechte Lösungsvorschläge anzubieten. Dafür wollen wir andererseits Unternehmen, Start-ups und selbstständige Pflegepersonen sowie Forschungseinrichtungen ansprechen, ihre Produkte und Dienste rascher und zielgerichteter zur Verfügung zu stellen.
Demenzerkrankungen sind die häufigste Ursache für psychische Veränderungen bei Menschen über 60 Jahren. Sie beeinflussen kognitive Fähigkeiten, aber auch das Verhalten und die Sozialkontakte: Menschen mit Demenz entwickeln zunehmend Probleme, mit anderen Personen zu kommunizieren. Der Kontakt zu Haustieren ist für sie oft unkomplizierter. Doch nicht immer erlauben es die körperlichen oder räumlichen Möglichkeiten, sich um ein lebendiges Tier zu kümmern. Um in solchen Fällen sprichwörtlich nicht auf den Hund zu kommen, gibt es mittlerweile lebensechte Robotertiere. Die kuscheligen Vierbeiner reagieren auf Berührungen mit schnurren, Augen öffnen und schließen, Pfote heben und auf die Seite rollen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts von LIFEtool und der FH Gesundheitsberufe OÖ GmbH mit dem Diakoniewerk wurde in einer Studie mit sieben Probanden festgestellt, dass sich der Einsatz dieser Tiere positiv auf die Lebensqualität von älteren und demenzkranken Menschen auswirkt. Die Testpersonen (zwischen 81 und 97 Jahren) zeigten sich entspannter und die Interaktion mit dem Robotertier und mit anderen Personen wurde bei vielen deutlich angeregt. Mittlerweile beleben rund 200 Roboterkatzen und -hunde den Alltag in österreichischen Pflegeeinrichtungen und Seniorenzentren.
Ein ebenfalls hilfreicher Begleiter im Alltag älterer Menschen ist Allfred. Die Diakoniewerk Syncare GmbH hat diesen in Österreich einzigartigen sozialen Dienstleistungsanbieter geschaffen, der Helfer und Kunden zusammenbringt. Allfred (Alltag. Freizeit. Dienstleistung) ersetzt keine medizinische Pflege, ist aber für die soziale Komponente enorm wichtig. Reinhold Medicus-Michetschläger, Projektentwickler bei der Diakoniewerk Syncare GmbH erklärt: „Es gibt viele ältere Personen, die abgesehen von der medizinischen Pflege Hilfe in Alltagsangelegenheiten benötigten – zum Beispiel im Haushalt, für Einkäufe, Gartenarbeit oder einfach zum Zuhören. Auf der anderen Seite gibt es etliche Menschen, die helfen und sich nebenbei etwas dazuverdienen wollen: Mamas in Karenz, Pensionierte, Asylwerber, Studierende oder Teilzeitarbeitende. Diese Helfer werden sorgfältig und persönlich ausgewählt und mit den passenden Kunden gematcht. Innerhalb eines Jahres konnten wir das kleine Projekt in Linz auf den Zentralraum Oberösterreich ausweiten.“ Rund 170 Unterstützungsverhältnisse sind dadurch zustande gekommen. Für diese Leistungen wurde Allfred mehrfach ausgezeichnet.
Einige der größten Herausforderungen im Gesundheitswesen – und dazu gehört auch das Pflegethema und wie wir die alternde Gesellschaft in die Zukunft führen – werden nur durch Innovationen und digitale Tools zu lösen sein. Um die richtigen Partner dafür zusammenzubringen, braucht es schlagkräftige Netzwerke wie den MTC. Der Cluster steht für Networking, Kooperation und Innovation und ist Ansprechpartner für alle Unternehmen der Branche. Als Ansprechpartner für alle Pflegethemen steht Thomas Wolfinger gerne zur Verfügung: thomas.wolfinger@biz-up.at, +43 732 79810-5237.